Das Mittelstufenkonzept

 

„ Vor allen Dingen versuchen wir im Waldorf-Schulprinzip den Menschen so auszubilden, dass er in der rechten Art dasjenige zur Offenbarung bringt, was im ganzen Menschen veranlagt ist, und auf der anderen Seite dasjenige, was ihn richtig in die Welt hineinstellt.“ (Rudolf Steiner am 15.8.1924 in dem Vortrag „Die Kunst des Erziehens aus dem Erfassen der Menschenwesenheit“)

 

 

Mittelstufenkonzept

Im Jahre 2003 haben wir an unserer Schule das Mittelstufenkonzept eingeführt. Somit wurde die Klassenlehrerzeit von acht auf sechs Jahre verkürzt. Die Schüler beenden nach der sechsten Klasse die Unterstufe, in der sie von einem Klassenlehrer in allen Epochen unterrichtet wurden. Mit dem Eintritt in die Mittelstufe findet eine große Veränderung statt. Die Klasse wird für die nächsten drei Jahre (Klasse 7 – 9) von einem Klassenbetreuerteam geführt, das in der Regel aus einer Lehrerin und einem Lehrer besteht, um die Entwicklungen der Jungen und Mädchen in gleichem Maße begleiten zu können. Ein weiterer bedeutender Aspekt ist der Wechsel der Epochenlehrer. Die anstehenden Epochen werden nun von Fachlehrern erteilt, wobei die waldorfpädagogischen Lehrinhalte den Unterricht weiterhin in hohen Maßen prägen und bestimmen.

Die Klassenbetreuer kümmern sich außerdem um organisatorische Belange, begleiten die Klasse bei Wandertagen etc. Auch betreuen sie die Schüler in der siebten Klasse bei ihren Halbjahresarbeiten, organisieren deren Präsentation und bestreiten gemeinsam 

 

Menschenkundliche Entwicklung und erzieherisches Handeln in der Mittelstufe

Der junge Mensch tritt zu Beginn der Pubertät – zwischen dem 12. und 14. Lebensjahr – in ein ganz neues Verhältnis zur Welt. Was sich physisch als zweiter Gestaltwandel mit einem oft enormen Längenwachstum bemerkbar macht, beinhaltet auch einen starken inneren Gestaltwandel. Zu dieser Zeit bricht nun das Seelenleben zur Außenwelt durch. Leidenschaftliche Zustimmung oder Ablehnung beherrschen die Reaktionen der Schüler im Leben und Arbeiten der Klasse. Lang geübte Ordnungsprinzipien scheinen plötzlich verloren zu gehen. Oft erschrecken diese Turbulenzen die Umgebung so, dass sie darüber vergisst, dass der Jugendliche ähnlich erschrocken ist. Letzteres soll aber von der Umgebung unbemerkt bleiben, denn der junge Mensch will sich im Neuland der Individualität erst dann zeigen, wenn er an Sicherheit gewonnen hat. Vieles bleibt Versteck, Verzauberung, Maske.

Dieses Verhalten spiegelt einen objektiven Entwicklungsprozess wider, der vom Lehrer auch als ein solcher erkannt und empfunden werden muss. Ruhe, Gelassenheit, inneres Verständnis und immer wieder Humor sollte den jungen Menschen entgegengebracht werden, denn der Schüler sucht beim Erwachsenen Orientierung und ist im Innersten tief enttäuscht, wenn der Erwachsene sich mit ihm auf die gleiche Ebene stellt und mit Emotionen reagiert.

Bei den heranreifenden Jugendlichen ändert sich auch das Verhältnis zu der Zeit. Zusätzlich zum Hier und Jetzt entwickelt der Heranwachsende noch ein deutliches Empfinden für die Vergangenheit und eine Ahnung für das Zukünftige. Es fühlt sich einerseits solitär, andererseits aber auch gesamt-menschheitlich. Dies wird mit dem Begriff der „ Geschlechtsreife“ noch deutlicher, denn er fasst das Geschlechtsspezifische, das nun immer deutlicher in den Vordergrund tritt, ins Auge. Gleichzeitig ahnen die Jugendlichen aber auch ihre Verantwortung gegenüber der Welt, gegenüber der Erde. Rudolf Steiner betont diesen Aspekt unter dem Begriff „Erdenreife“.

Neben dem physischen und seelischen Gestaltwandel erwachsen in dem Kind im Übergang zum Jugendalter auch neue Seelenkräfte – es vollzieht sich ein geistig-bewusstseinsmäßiger Wandel. Es entwickelt sich in zunehmendem Maße das begriffliche Denken, das bestrebt ist die Welt kausal zu verstehen, indem es Bezüge zwischen den Einzelphänomenen herstellt, um so zu einem umfassenden Verständnis der Welt zu gelangen und mit eigenem Urteil zu ergründen.

Die Aufgabe des Erziehers, das kausale und zusammenschauende Denken sowie das Urteilsvermögen des Heranwachsenden zu schulen, erstreckt sich über das gesamte Drittel des zweiten Jahrsiebts. Der Lehrer versucht auf dem Gebiet der leblosen Natur, wie zum Beispiel der Physik, alle Vorgänge an die Erfahrung der Schüler anschaulich anzuschließen. In der Welt des Menschen, wie beispielsweise in der Geschichte, müssen dagegen alle Schilderungen – auch die kausalen – von Phantasie durchdrungen sei, um sie so mit den seelischen Fähigkeiten der Jugendlichen zu verbinden.

Nicht nur der vielseitige Unterrichtsstoff in den verschiedenen Fächern sowie handwerklich-künstlerische Disziplinen, Praktika, Halbjahresarbeiten, Klassenspiele und Klassenfahrten, sondern auch die methodische Gestaltung des Unterrichts sowie vor allem auch die Zusammenarbeit des Kollegiums sollen die Entwicklungsschritte ins Jugendalter fördern, unterstützen und begleiten.