Formenzeichnen in der Waldorfschule

Formenzeichnen

Was ist das besondere an diesem Unterrichtsfach
Eine Betrachtung in Theorie und Praxis

 Am 12.02.2014 hielt Herr Kauder diesen Vortrag um zu erklären, welche Bereicherung für die Entwicklung unserer Kinder in diesem Fach liegt und wie es praktisch durchgeführt wird.

Seit 1919 existiert dieses Fach durch die Eröffnung der ersten Waldorfschule in Stuttgart. Begründer war Rudolf Steiner.

Seine Beweggründe zu diesem Fach erklärt er in verschiedenen Vorträgen. Das Formenzeichnen hat ganz verschiedene Aspekte, die sich ergänzen und eine stärkende und heilende Wirkung auf die Entwicklung unserer Kinder haben.

„Durch das Formenzeichnen wird im heranwachsenden Kind der Zugang zum Empfinden der lebendig-schaffenden Formwelt freigemacht, belebt und durchs übende Tun gestärkt.“

Dieses Zitat von Hans Rudolf Niederhäuser, beschreibt  sehr schön, was durch den gesamten Vortrag und durch unser praktisches Üben erlebbar war.

Ab der 1. bis zur 4. Klasse wird diese Unterrichtsfach als reines Formenzeichnen gelehrt
und dient in der 1. und 2. Klasse auch als Vorbereitung für das Schreiben.
In der Klasse 5 geht das Fach über in die Freihandgeometrie. 

 

In der 1. Klasse kommt es dem Bewegungsdrang des Kindes entgegen,denn die einzelnen  Formen werden mit Hand und Fuß zunächst in der Luft gezeichnet und auch gelaufen. Das Formenzeichnen ist vor allem ein Umgang mit der Linie, ohne dass etwas Gegenständliches gezeichnet wird. Für unsere Kinder ist es sehr geeignet um sie zur Ruhe und Konzentration zu führen.Somit hat dieses Fach auch einen therapeutischen Aspekt.

Denn unsere Kinder sind heute vermehrt familiären Krisen, Reizüberflutung, überforderndem Zeitmanagement, neuen Medien und Konsum ausgesetzt. Durch diese Oberflächlichkeiten  wird es ihnen schwer gemacht sich mit der Welt zu verbinden. Die Folgen sind Konzentrationsschwäche, mangelnder Ausdauer und mangelnder Hingabe. Es treten Langeweile und Leere auf, die schwer ausgehalten werden können. Dadurch entsteht dieses große Bedürfnis unterhalten werden zu wollen oder sogar unterhalten werden zu müssen.Die Aufgabe der Pädagogik besteht darin basale Lernprozesse zu initiieren, die diesen negativen Einflüssen entgegenwirken. Durch sie werden tiefere seelische Schichten erreicht und aufgeweckt.

 

In der ersten Schulstunde zeichnet jeder Schüler eine „Gerade“ und eine „Krumme“ an die Tafel. Es sind Urgebärden, aus denen sich alle anderen Formen zeichnerisch bilden lassen.   

So werden unterschiedliche Formen geübt, die einmal das Gerade und einmal das Krumme zum Thema haben und damit unterschiedliche Stimmungen anregen.

Der Schüler  kann in Erlebnisprozesse eintauchen, die ihn seelisch sättigen und zufrieden machen.  Das Formgefühl im Schüler wird geweckt und geschult. Beim Zeichnen der „Lemniskate“ ist es den Schülern möglich durch das Überkreuzen in einen „Atmungsprozess“ hineinzukommen, in ein Schwingen.

 In der 2. Klasse beginnen symmetrische Zeichnungen. Der Mensch ist symmetrisch aufgebaut. Die Schüler haben in diesem Alter ein Verlangen nach Vollständigkeit.
Rudolf Steiner: „Man bringt auf diese Weise in das Kind den inneren aktiven Drang hinein, unvollendete Dinge fertig zu machen, dadurch überhaupt in sich eine richtige Wirklichkeitsvorstellung auszubilden“. So werden verschiedene Spiegelungen geübt. Der Lehrer gibt  eine Seite vor und die Schüler spiegeln diese Form. Blattformen eignen sich hier ganz besonders.

 

Ende der 2. Anfang der 3. Klasse schließen sich die Zwei-Spiegel-Achsen an. Diese Formen sind blumen- und  blätterartig. Hier gibt es Formen, z.B wie eine Blüte, bei denen die Kinder nach einer gezeichneten Linie den Wachsmalstift kurz absetzten – kurzes Aufwachen – und dann wieder neu ansetzen und weiter zeichnen. Das lieben die Kinder. Hier können die Schüler ihre Augen schulen, indem sie die Form durch immer wieder Nachfahren der Linien ausgleichen.
Bei diesen Formen ist die seelische Verfassung des Schülers gut erkennbar. Die feinfühlige Korrektur durch den Lehrer wirkt positiv auf das Kind und hinterlässt eine Zufriedenheit.
Es gibt „offene Formen“, die keinen Mittelpunkt haben oder „Spitze Formen“. 

 In der 3. Klasse beginnt der „Rubikon“. In den Schülern treten zum ersten mal Einsamkeitsgefühle auf. Dieses Gefühl ist ein weiterer Schritt ins Aufwachen.
Das Zeichnen wird freier und im künstlerischem spiegelt sich, was sich im seelischen abspielt. Es werden asymmetrische Formen geübt, die weiterhin an Blüten erinnern. Es wird eine Hülle um die Form gelegt, es gibt einen Mittelpunkt, durch den gezeichnet werden soll. Die Form darf spielen , muss nicht so streng sein und die Formen erzeugen Spannungen in ihrer Dynamik. Es ist ein zeichnerisches Eintauchen in die Prozesse der Natur. Die Seele macht die Bewegung der Formen mit. Die Pflanzenkräfte, der Vorgang von Wachsen und Werden, werden erkannt. Hier wird das Erleben der Form erneut wichtig.  Das ist notwendig um den schädigenden Zivilisationsprozessen entgegen zu wirken.  

Auch hier ist das Auge wieder zum Ausgleichen gefordert. Der Gesamtblick auf die Form ist wichtig. Es gibt Laufsformen, zur Vorbereitung für das Erlernen der Schreibschrift und rhythmische Bewegungsformen, die aus dem Gefühl heraus gezeichnet werden.

 

In der 4. Klasse beginnen die Schüler Flechtbänder zu zeichnen, von einfachen, bis hin zu hoher Flechtkunst. Oft sind sie in den Klassenräumen zu bewundern, in denen sie wie Girlanden die Wände ringsherum schmücken. Dieses ist eine hohe Konzentrationsübung. Es geht „drunter und drüber“, das macht den Schülern Spaß und führt zur Zufriedenheit .
Durch diese vier Klassen durften wir Eltern und Lehrer die unterschiedlichsten Formen üben. Und jeder hat seine ganz eigenen Erfahrungen gesammelt. Es war eine wunderbare Einführung und durch das praktische Üben etwas nachvollziehbar, was dieses Unterrichtsfach bedeutet und wie unsere Kinder unterstützt und gefordert werden. Zu allen Schuljahren gilt, dass es immer wieder um Üben und Wiederholen geht und dadurch ganz wichtige innerliche Prozesse in Bewegung gebracht werden, die unseren Kinder helfen zu frei denkenden Menschen zu werden.

Vielen Dank an Herrn Kauder, der diesen Vortrag so wunderbar anschaulich mitgeteilt hat.

 

Für den Kulturkreis Susanne Gau